Diskriminierung im Alltag
Zugegeben, das Thema hat einen Bart, aber trotzdem moechte ich noch einmal kurz Diskriminierung im Alltag in Japan diskutieren. Vielleicht liest ja der ein oder andere Japanresident noch mit, trotz meiner doch sehr seltenen Artikel 🙂
Diskriminierung also …
in meinem mittlerweile 10ten Jahr in Japan habe ich es mir hier sehr gemuetlich eingerichtet. Ich habe meinen festen Job mit meist freundlichen japanischen Kollegen, Frau/Familie und Nachbarn, die ich nicht kenne (= wesentlich besser als schreckliche Nachbarn).
Aus diesen Umstaenden folgt, dass ich nur sehr selten das Gefuehl habe, diskriminiert zu werden. Was aber doch ab und zu vorkommt:
- „der Blick“: Dieser Gesichtsausdruck, vor allem, aber nicht nur, von Kindern, wenn sie mich zum ersten Mal erblicken. Im Blick schwingt dann meist Erstaunen, Schock und Angst mit. Nun, ich bin auch gross und maennlich, ich kann mir also gut vorstellen, dass das den Effekt noch verstaerkt. „der Blick“ ist die Form der Diskriminierung, die ich am haeufigsten erlebe. Man koennte nun einwenden, ich solle nicht so zimperlich sein und „der Blick“ ist sowieso nur Einbildung etc. Aber mir tut „der Blick“ weh und macht mich wuetend. „der Blick“ ist fuer mich Ausdruck der komplett falschen Einstellung gegenueber Auslaendern in Japan. Das Kinder ihn besonders oft benutzen zeigt nur die Fehler ihrer Erzieher und dass Kinder nicht so gut im sich verstellen sind.
- „Englischen“. „Englischen“ ist zwar seltener als „der Blcik“, kommt aber viel haeufiger auch bei Erwachsenen vor. Es spielt dann zum Beispiel keine Rolle, dass ich mit Frau und Kind deutlich hoerbar auf Japanisch kommuniziere. Der Gedanke ist in etwa: Der ist Auslaender, ergo versteht er kein Japanisch (falsch) und redet nur English (falsch). Es gibt auch noch eine andere Variante von „Englischen“, wenn mein Gegenueber zwar mit mir Japanisch spricht, aber alle paar Sekunden irgendein englisches Wort einstreut. Nach dem Motto „der bloede Auslaender kann ja bestimmt keine komplizierten Woerter mit zwei oder mehr Kanji“. „Englischen“ passiert meist mit eher aelteren Japanern. Meine Schwiegermutter hatte das auch jahrelang und es ist nur ganz langsam besser geworden. Mein Schwiegervater, der geschaeftlich oft in den USA ist, hat mich interessanterweise nie ge“Englischt“.
Und das war’s dann eigentlich auch schon. „Der Blick“ und „Englischen“ sind mit Abstand die haeufigsten diskriminierenden Ereignisse fuer mich. Man kann natuerlich argumentieren, dass die Diskriminierung auf Arbeit, im Gesetz usw. viel wichtiger ist, und das ist wahrscheinlich sogar richtig, aber hier geht es ja um den Alltag.
Und wie oben schon beschrieben, habe ich mir hier mein Leben ganz angenehm eingerichtet, so dass obige Aergernisse nicht allzu oft vorkommen. Aber vorkommen tun sie eben doch.
Ganz nebenbei, eine Sache, die mich generell stoert in Japan, die ich aber nicht direkt als Diskriminierung ansehe, ist dass Aerzte generell nur sehr niedrige Dosen fuer Medizin verordnen. Ich bin mittlerweile dazu uebergegangen, die meisten Verordnungen von Aerzten mit dem Faktor 1.5 / 2 zu multiplizieren. Ich merke das am meisten bei Schmerz- / Erkaeltungsmedikamenten. Wenn ich da die verordnete Menge nehme, spuere ich oft ueberhaupt keine Verbesserung. Verdopple ich die Menge geht es mir oft VIEL besser. (Bei ernsthaften Medikamenten klaere ich eine solche „Ueberdosierung“ aber generell ab.) Interessant auch, dass, wenn man im Internet Medikamentendosierungen nachschlaegt, dass dann die empfohlenen Dosierungen auf westlichen Internetseiten und japanischen Internetseiten oft verschieden sind. Konkretes Beispiel: Ich muss jeden Tag ein bestimmtes Medikament nehmen um einer chronischen Krankheit und Schmerzen vorzubeugen. Mein Arzt hatte mir eine Dosierung von 10 mg / Tag verschrieben. Diese Dosierung hatte zwar eine bestimmte Wirkung, aber ich hatte immer noch Schmerzen. Also habe ich mal geschaut, was die empfohlene Dosierung in englischsprachigen Medien ist, und siehe da, da stand 40 mg. Bei meinem naechsten Arztbesuch habe ich dann mit meinem Arzt darueber gesprochen und nehme jetzt 20 mg pro Tag und bin beschwerdefrei.
Und was steckt dahinter? Ich glaube zweierlei: Erstens habe ich das Gefuehl japanische Aerzte verordnen so wenig „harte“ Medizin wie moeglich (was wahrscheinlich gut ist) und zweitens japanische Aerzte verordnen fuer 60 kg Durchschnittsjapaner. Fuer mich mit ueber 100 kg Koerpergewicht ist das schlicht die falsche Bemessungsgrundlage.
Also, liebe Japanresidenten, was sind eure Erfahrungen mit Diskriminierung hier?
Hey,
Kann deine genannten Punkte nur bestätigen. Insbesondere „der Blick“ von Kindern lässt mich manchmal schon so fühlen, als wäre ich von einem anderen Planeten. 😀 Wobei ich den Blick meist als ehrfürchtig empfinde.
Ein Punkt, den ich noch ergänzen würde: Jede westliche Person ist in den Augen von Japanern erstmal ein Amerikaner. Ich weiß nicht, ob man das als Diskriminierung auffassen sollte, aber ich finde es schon ein bisschen verletzend und ignorant, immerhin bezeichne ich auch nicht jeden Asiaten in Deutschland als Chinesen.
Grüße
Tobi
November 3, 2015 at 3:46 am
Naja, ich nehme dir schon, dass du nicht alle Asiaten ueber einen Kamm scherst. Aber in Deutschland habe ich oft erlebt, was Japan / China / Korea wild durcheinander geworfen werden.
„Japan? Da ist man doch Hunde oder?“
„Japan? Die duerfen doch nur ein Kind haben, oder?“
„Peking ist doch die Hauptstadt von Japan, oder?“
Alles schon gehoert …
hanayagi
November 7, 2015 at 1:07 am
Hi,
ich bin der Meinung, das „Diskriminierung“ – wenn ueberhaupt vorhanden, ist eine Ansichtssache.
Gerade bei Kindern, in Japan gibt es einfach sehr wenige Auslaender und demzufolge auch im Kindergarten. Ist doch verstaendlich, das man da angeschaut wird wie ein Alien. Die Leute kommen ja zumeist auch nicht von ihrer Insel weg.
Kommt man in das spielerische mit den Kindern zusammen, ist der „Schreck“ auch schon vergessen. Und Kinder denken noch freier als Erwachsene und reden einfach japanisch.
Mit Erwachsenen ist das anders, weil sie anders denken. Aber hier ist das nur eine Frage des eigenen Auftretens. Zum Beispiel im Supermarkt, da habe ich den „dreh“ heraus und mit mir redet keiner mehr englisch. Es ist Aufgabe des Auslaenders sich so anzupassen, das es man sich nicht diskriminiert fuehlen muss. Und das klappt auch. Natuerlich gibt es Ausnahmen, aber darueber sollte man stehen, oder.
Gruesse,
Rene
Rene
November 3, 2015 at 11:55 pm
„Es ist Aufgabe des Auslaenders sich so anzupassen, das es man sich nicht diskriminiert fuehlen muss.“
Es kann niemals nur die Aufgabe des Auslaenders sein. Ich finde deine Einstellung realitaetsfremd, aber Einstellungen sind subjektiv 🙂
Aber was dein Supermarktbeispiel betrifft: Ich habe die Beobachtung gemacht, dass ein sicheres Auftreten auch die Person hinter der Kasse beruhigt. „Englischen“ passiert mir bei Einkauf / Behoerden etc. nur dann, wenn ich mir ueber irgendetwas inhaltlich unsicher bin und das Gegenueber das als ein Sprachproblem interpretiert. Da hilft dann meist ein mehr oder weniger gereiztes 日本語がわかるよ。ちゃんと説明してください。
hanayagi
November 7, 2015 at 1:03 am
@hanayagi
Wie ist denn Dein Eindruck von Diskriminierung und langfristige Karrieremöglichkeiten? Hast Du den Eindruck, dass Dein Dasein als Ausländer Dir Nachteile (z.B. kein seshain, weniger Beförderungen, first to fire) oder Vorteile (das kann nur ein Ausländer, dem zahlen wir mehr) bringt?
umij
November 6, 2015 at 7:45 pm
Ich kann nur fuer mich selbst sprechen, und ich bin Seishain.
Ich kann nicht allgemeingueltig sagen, was es braucht um Seishain zu werden.
In meinem Fall hatte ich ein klein wenig Erfahrung in aehnlicher Taetigkeit und meine .. aehem … vorzueglichen Japanischkenntnisse vorzuweisen. Das war genug, um meine beiden letzten Firmen zu meiner Einstellung zu bewegen.
Ich hatte dabei nicht das Gefuehl benachteiligt zu werden, im Gegenteil, ich weiss, dass ich mehr verdiene, als japanische Kollegen in vergleichbarer Position (wobei ich aber eben auch mehr spezielle Skills und akademischen Hintergrund habe, normalerweise). Die Frage, die ich mir stelle, ist, was passiert in 3, 5, 10 Jahren, wenn ich Kacho oder Bucho-level Erfahrung und Qualifikationen habe. Bekomme ich dann die angemessene Befoerderung?
Das wird die Zeit zeigen muessen. In meiner Firma oder zumindest in meiner Abteilung habe ich aber das Gefuehl, dass „Merit“ entscheidend is:. Schaffe ich es in den naechsten 3 – 5 Jahren unseren Umsatz um X Prozent zu steigern, bin ich mir ziemlich sicher, dass die Firma sich erkenntlich zeigen wird, und wenn nicht, nun, kuerzlich hat bereits ein Headhunter angeklopft. 🙂
Waere ich der Erste der gefeuert wird, wenn es der Firma schlecht geht? Nein, ich glaube nicht. Waere ich der erste in meiner Abteilung wenn jemand gefeuert wird? Vielleicht. Schwer zu sagen.
Sorry, es gibt noch immer viel, was ich nicht weiss 🙂
hanayagi
November 7, 2015 at 12:55 am